Aus Politische Berichte Nr. 01/2019, S.20 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

„Gibt es eine gemeinsame politische Agenda der Linken für die Wahlen 2019?“ (H.P., Dezember 2018)

01 Einleitung - Christoph Cornides, Mannheim.

02 Auszug aus: Diskussionspapier Dr. Harald Pätzold, Dezember 2018

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Einleitung

Christoph Cornides, Mannheim. Wir veröffentlichen nachfolgend mit freundlicher Genehmigung des Autors, Dr. Harald Pätzolt, aus Platzgründen einen Auszug aus seinem Diskussionsbeitrag „Gibt es eine gemeinsame politische Agenda der Linken für die Wahlen 2019?“ vom Dezember 2018. Der Beitrag wurde aus Anlass der Beratung der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden im Dezember 2018 verfasst.

In Vorbereitung der Europawahlen sowie verschiedener Wahlen in Bundesländern – also eines neuen Wahlzyklus – in diesem Jahr, ist die Problematisierung möglicher Pfadabhängigkeiten in der bisherigen Wahlkampfführung und ihrer Ergebnisse besonders wichtig.

Es stellt sich, vereinfach gesagt, die Frage, ob die bisherige Strategie einfach vollumfänglich richtig war. Wenn nicht, dann wäre gerade jetzt, vor Beginn des neuen Zyklus, die richtige und notwendige Gelegenheit, Korrekturen vorzunehmen, bevor Mängel bisherige Politik sich in den nächsten Zyklus fortsetzen und dann („pfadabhängig“) Fehler und Unzulänglichkeiten kurzfristig erstmal nicht mehr zu korrigieren sind, sondern sich in ihren Folgen im Gegenteil fehlerhaft „aufschaukeln“. Käme man also zu dem Ergebnis, dass Korrekturen anzubringen wären, dann stellt sich die Frage, wie – konkret und praktisch – ein Wechsel (gewissermaßen ein „Pfadwechsel“) überhaupt zu organisieren wäre.

Ein weiterer Hinweis für die Debatte in der Linken, für die Kritik an der SPD und die Befassung mit der eigenen Politik in der Linken ist unbedingt bedenkenswert (auch wenn ihn nicht wenige Mitglieder der Linken ungerne hören werden): Der Hinweis auf die mögliche Nähe von Fehlern der SPD und denen der Linken. Pätzolt schreibt:

„Die SPD hat, wie die Linke auch, bei den letzten Wahlen geradezu monothematisch auf Sozialstaatsthemen gesetzt und Wirtschaft (Wertschöpfung, Globalisierung, Wandel der Arbeitswelt, Digitalisierung usw.) aus ihren Kampagnen verbannt. Damit ist sie grandios gescheitert. Nebenbei und für die Linke nicht unwichtig: der Linken war die SPD thematisch sehr nahe gekommen, gewonnen haben beide damit nicht.“

In seinem Diskussionsbeitrag analysiert Harald Pätzolt im ersten (hier nicht abgedruckten) Teil die Wahlkampfführung der Linken in den letzten Wahlzyklen an Hand der Schwerpunktthemen, der Wahlaussagen und der Hauptslogans. Ergebnisse dabei sind: „Ein Blick zurück zeigt, dass die Linke immer eine gemeinsame Agenda bei den Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen hatte.“ Und: „Kurz zusammengefasst besteht die Agenda der Linken im letzten Wahlzyklus in einem Mix aus Werten und „Brot-und- Butter“-Themen, wobei letztere auch als Sozialstaats-Themen bezeichnet werden können. Wirtschaft wurde selten thematisiert.“

Daran schließt sich die Analyse der Wahlergebnisse für die Linke zwischen 2013 und 2018 in Zahlen und unter Aspekten der Parteienforschung („WählerInnenstimmen“, „parlamentarischer Einfluss“, „Regierungsbeteiligungen“) sowie unter organisationssoziologischer Fragestellung („Rekrutierung von Mitgliedern“, „Effektivität der Zielverfolgung“, „Repräsentation der Mitgliederinteressen“) an.

Darauf aufbauend folgt der hier abgedruckte Abschnitt.

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Auszug aus: Diskussionspapier Dr. Harald Pätzold, Dezember 2018

(…) Das ist der Kern unseres Problems, dass auch die Linke nicht in der Lage scheint, die neu entstehenden Interessenlagen zu erkennen und zu bündeln.

Wenn wir uns besinnen, dann ist die Linke seit ihrer Gründung auf dem Pfad, auf dem dann auch verbal und visuell die Bayern und Hessen zuletzt unterwegs waren: Mehr für die Mehrheit. Das ist die politische Genetik der WASG, diese Idee einer sozialstaatlichen Renaissance, das hat Oskar Lafontaine, als Gründungsidee völlig zu Recht, in der Linken hegemonial gemacht. Die PDS war ja programmatisch eher gesellschaftstransformatorisch unterwegs.

1. Der Wahlzyklus, insbesondere Hessen

Zurück zum Wahlzyklus, insbesondere zu Hessen. Von „Normalwahlen“ im Sinne der Wahlforschung können wir in diesem Zyklus kaum mehr reden. Auf Landesebene waren zu den Zeitpunkten der Wahlen die Parteiensysteme entweder bereits instabil oder sie wurden es durch die Wahlen. Mit der Bundestagswahl 2017 wurde dann auch das bundesdeutsche Parteiensystem instabil. Die Frage ist nun die folgende:

Wie ist es zu erklären, dass die Linke von all diesen Turbulenzen, die sich in höchster Volatilität äußern, kaum berührt wurde?

In Hessen ist diese Nichtteilnahme am Spiel der Kräfte schon seit 2008 erkennbar gewesen. Die SPD fällt, die SPD steigt, immer deutlich, ohne dass die Linke davon etwas ab bekommt.

Dabei waren diesmal, das ganze Jahr 2018 hindurch, die Umfragen immer bei 8%, also auf dem Niveau der letzten Bundestagswahl. Es war also durchaus naheliegend, das Wahlziel entsprechend zu bestimmen und, da war wohl eine um 10% geringer zu erwartende Wahlbeteiligung eingepreist, einen „Großteil der 271.158 Wähler_innenstimmen“ der BTW 2017 zu gewinnen, wie es in der Wahlstrategie hieß.

Das ist nun nicht gelungen. Landesweit kam man auf 67% der Stimmen von 2017, in den größeren Städten waren es z.T. unter 60% (Fulda, Hanau), sonst etwa 75%. In knapp der Hälfte der Landkreise verlor man zur letzten Landtagswahl Stimmen und realisierte auch über jene Kreise, in denen man gewann, kaum 2/3 der Stimmen von 2017.

In Krisenzeiten, wie wir sie seit der 2. Hälfte der 2000er Jahre haben, lautet die Frage des Demos an die Parteien nicht: „Wer gibt uns mehr?“, sondern: „Wer führt uns sicher durch die nächsten 20 Jahre?“. Die Antwort der Linken war immer dieselbe: Der Sozialstaat! Mehr für die Mehrheit! Aber das entsprach weder der liberal-kosmopolitischen Fragestellung der modernen urbanen Milieus (Wem gehört die Stadt?) noch der nicht prekär Beschäftigten (It’s the economy, stupid!) oder der Erfahrung der (sozial, kulturell, räumlich) Abgehängten (Wir bleiben abgehängt). Meine Antwort auf die Frage, warum die Linke seit Jahren stagniert lautet entsprechend: Weil ihre Wahlkampfauftritte dort, wo sie nicht gut abschnitt, pfadabhängig waren. Und weil die Bundespartei eben auf diesem Pfad unterwegs war und ist.

War es eine organisationspolitische Schwäche, diesen Pfad nicht verlassen zu können? Oder war es, weil es keine anderen Optionen gab und man diesen Pfad nur bei Strafe des eigenen Untergangs hätte verlassen können? Das sei dahingestellt. So oder so ist da diese Schwierigkeit, reale Interessen realer Parteimitgliedschaft und Wählerschaft in der Partei zu aggregieren und dann öffentlich, auch werberisch zu repräsentieren. In Folge dessen phantasiert man sich ersatzweise eine fiktive Anhängerschaft, jene ominöse „Mehrheit“, herbei. Die enthebt uns durch einen bekannten Trick der Mühe der Interessenaggregation, der innerparteilichen Willensbildung und Programmformulierung: Man muss sich dazu diese Mehrheit der Menschen in Deutschland nur als Masse vorstellen. Mit einem einfach zu formulierenden kollektiven Interesse des „Mehr von allem!“.

Dieser Trick ist natürlich klassisch populistisch. Dabei hat das Verfahren konkret zwei eklatante Schwächen: (1) Demokratietheoretisch folgt er nicht der Idee und Praxis der liberalen, sondern der Mehrheitsdemokratie. Das ist angesichts der Angriffe auf die liberale Demokratie in Europa m.E., nun, vorsichtig gesagt, ein Problem. Vielmehr gilt es, die liberale Demokratie gegen alle autoritären Zumutungen, in Deutschland seitens relevanter Kreise der CSU und CDU sowie der AfD, zu verteidigen. Und (2) geht die politische Agenda so nicht auf Qualitäten des Zusammenlebens, der Arbeit, des Verkehrs usw., sondern auf bloße Quantitäten. Das ist, in Zeiten großer Umbrüche, wo die Fragen nach dem Neuen stets eher mit einem „Wie“ verbunden werden (Wie werden wir arbeiten? Wie werden wir künftig mobil sein? Wie wird Energie gewonnen, wie Nahrung, wie wird Frieden zu halten und Hunger zu beseitigen sein?) schlicht fatal. Die Antwort der leibhaftigen Menschen bei den Wahlen fiel entsprechend aus.

Die einfache Frage nach diesem Exkurs ist für mich die folgende:

2. Lassen sich auf diesem sozialstaatlichen Pfad 2019 Wahlerfolge für die Linke erreichen?

Beantwortet man die Frage positiv, dann wäre die politische Agenda der letzten Wahlen fortzuschreiben. Beantwortet man sie negativ, wie sähe dann eine gemeinsame Agenda für 2019 aus?

Da für gewöhnlich derartige Fragen in einem Sowohl-als-auch ihre Antwort finden, will ich nun einige Stichworte zum „Als auch“ liefern.

• Die SPD hat, wie die Linke auch, bei den letzten Wahlen geradezu monothematisch auf Sozialstaatsthemen gesetzt und Wirtschaft (Wertschöpfung, Globalisierung, Wandel der Arbeitswelt, Digitalisierung usw.) aus ihren Kampagnen verbannt. Damit ist sie grandios gescheitert. Nebenbei und für die Linke nicht unwichtig: der Linken war die SPD thematisch sehr nahe gekommen, gewonnen haben beide damit nicht.

Zu den großen Entwicklungen, gewissermaßen den „externen“ Faktoren der Entwicklungen in den Bundesländern, gehören aber die Globalisierung, die Veränderungen der Wertschöpfungsketten, die Digitalisierung, die Frage der Exportkraft und der Arbeitskräfte. Eine politische Agenda der Linken müsste doch die Frage der „Anpassungsfähigkeit“ der Länder, von Städten und Regionen, klar beantworten.

• Die Grünen haben gezeigt, wie, wenn Weltkrisen wie Klimawandel in den Alltag der Menschen einbrechen, als Dürre, als Flüchtlingsströme oder Fahrverbote und wenn Eliten sich als unfähig zeigen, eine Partei all diese Interessen in gewisser Größenordnung bündeln kann. Das bildet sich vielleicht noch eher im gewachsenen Potential als in konkreten Wahlergebnissen ab.

• Vergleichende Studien zu europäischen abgehängten Regionen zeigen, dass eine entscheidende Frage die der „außerordentlichen Förderung“ solcher Regionen ist. Gibt es eine solche nicht (mehr), wird die Anpassung an die externe Dynamik bescheiden oder überhaupt nicht stattfinden. Das dürfte für Ostdeutschland relevant sein.

• Ob es zu einer Förderung kommt hängt davon ab, welches politische Gewicht die Regionen und Länder im Staat und in Europa haben. Entsprechend dürfte diese Frage nicht auf der politischen Agenda fehlen. Auf der der AfD steht sie jedenfalls prominent.

• Does Demography matter? In ganz Europa haben wir eine „negative Demographie“, aber eine positive außereuropäische Migration. Für die demographische Entwicklung, also auch die Zukunft von Regionen wie Ländern ist die Frage der innerstaatlichen, innereuropäischen wie außereuropäischen Migration entscheidend. Wer darüber nicht spricht verkennt die Interessenlage der Menschen, auch im linken Potential.

• Bildung: Geht es um Kitaplätze, um Lehrermangel? Oder geht es darum, dass die Zukunft der Regionen, Städte und Bundesländer, es geht konkret um Bremen, Sachsen, Brandenburg und Thüringen, von der Bildungslage entscheidend abhängt? Wie also reden wir über Bildung? Über ein soziales Problem Bildung? Oder über den Zukunftsfaktor Bildung?

• Wie reden wir überhaupt über unsere Themen? Global macht ein Begriff Furore: connectedness, Verbundenheit möchte ich besser sagen. Das ist ein gutes Wort, die Dinge, die auch die Linke bewegen, in ein neues Licht zu stellen, ins rechte Licht.

Wie gut Regionen, Städte vor allem, durch diverse Verkehrswege verbunden sind, ist ein zentraler Anpassungsfaktor an externe Dynamik.

Wie schnell, wie dicht ist die informationelle Verbundenheit, regional wie global?

Wie eng ist die soziale Verbundenheit?

Wie ist die Region, das Land, die Stadt, mit dem „Außen“ verbunden?

Mobilität neu, als Verbundenheit denken: Wenn es darum geht, Verbundenheit der Menschen mit medizinischen Einrichtungen auf ein neues Niveau zu heben, die Verbundenheit zwischen Wohn- und Arbeitsstätten zu verbessern, zwischen Wirtschaftssubjekten, Institutionen, Behörden und Bürgern, dann geht das auf vielen Wegen. Dann wäre das im Ganzen als Qualität und als Bedingung für Anpassung an externe Dynamik zu nehmen. Das singuläre Problem, die Buslinie, die Löcher im Mobilfunknetz, Schülertransport, E- Medizin, mobile Dienste, all das sind Aspekte einer Frage: Welches Niveau an Verbundenheit schaffen wir, um zukunftsfähig zu werden?

3. Schlussfolgerung

Wenn also meine These stimmt, dass die

Frage: „Wer führt uns sicher
durch die nächsten 20 Jahre?“

die Gretchen- und Vertrauensfrage an Politik und Parteien nebst KandidatInnen ist und dass damit die

Frage nach der Anpassungs-
fähigkeit der Kommunen, Regionen und Städte, der Bundesländer an
externe Dynamiken

auch im Wahljahr 2019 gestellt ist, dann sollt die Linke in den Wahlkämpfen des kommenden Jahres ihre Agenda gemeinsam als Antwort auf beide Fragen formulieren. Die Sozialstaatsfrage und die Frage der sozialen Gerechtigkeit wären so, ohne Substanzverlust, in einen neuen, wahlrelevanten Kontext gestellt.

Abb.(PDF): Wahlerumfragen der zur LINKEN in den Bundesländern